Von Kiel ging das Signal aus – 100 Jahre Novemberrevolution
In diesem Jahr jährt sich der Kieler Matrosenaufstand vom November 1918 zum 100. Mal. Aus der blutigen Niederschlagung einer Massendemonstration von Soldaten und Arbeiter*innen am 3.11.1918, die die Befreiung der in Kiel inhaftierten vermeintlichen Rädelsführer der Wilhelmshavener Meuterei der Hochseeflotte gegen die Fortführung des I. Weltkriegs zum Ziel hatte, entwickelte sich in den darauf folgenden Tagen ein revolutionärer Aufstand mit reichsweiter Signalwirkung. Arbeiter*innen und Soldaten übernahmen die Kontrolle über die Stadt, organisierten sich in Räten und stellten politische Forderungen nach Frieden, Freiheit und Brot. Die roten Fahnen über Kiel weiteten sich binnen weniger Tage auf zahlreiche Städte im untergehenden Kaiserreich aus, die alten Machthaber wurden davongejagt, regional entstanden spontan Räterepubliken. Am 9.11.1918 dankte der Kaiser ab, Karl Liebknecht rief in Berlin die Freie Sozialistische Republik aus. Das Gemetzel des I. Weltkriegs fand sein Ende.
Doch die hoffnungsvollen Tage des roten November 1918 währten nicht lang. Der rechte Ebert-Noske-Flügel der Sozialdemokratie würgte im Bündnis mit den alten Eliten des Kaiserreichs und proto-faschistischen Paramilitärs die Revolution ab, ließ ihre Vordenker*innen ermorden und linke Aufstände zusammenschießen. Die revolutionäre Linke in Deutschland entpuppte sich als zu schwach, um diesen Angriffen standzuhalten. Anstatt die Eigentumsverhältnisse anzutasten, die Organisation der gesellschaftlichen Belange in die Hände demokratischer Arbeiter*innenräte zu legen und die kapitalistische Produktionsweise als Keimzelle des imperialistischen Mordens im I. Weltkrieg über Bord zu werfen, kehrten nun die abgesetzten reaktionären Machthaber des beseitigten monarchistischen Klassenstaates in die Amtsstuben und Parlamente der neuen Weimarer Republik zurück. Die Arbeiter*innenbewegung dagegen ging zutiefst gespalten aus dem Novemberaufbruch hervor. Der Verrat der Revolution durch die ordnungsliebende deutsche Mehrheitssozialdemokratie brachte somit auch jene verhängnisvolle politische, ökonomische und soziale Grundkonstellation hervor, die in der kapitalistischen Weltwirtschaftskrise nur ein gutes Jahrzehnt später den Aufstieg des NS-Faschismus ermöglichen sollte.
Erinnern heißt Kämpfen!
Es ist prinzipiell zu begrüßen, wenn sich anlässlich des 100. Jahrestags der Kieler Revolte so viele Initiativen und Projekte wie nie zuvor mit den revolutionären Ereignissen in dieser Stadt auseinandersetzen und endlich damit beginnen, den Aufständischen die stadthistorische Würdigung entgegenzubringen, die sie zweifelsohne verdienen. Dabei sollten wir uns jedoch davor hüten, ihrer Eingliederung in den bundesrepublikanischen Nationalmythos als „Geburtsort der deutschen Demokratie“ durch die herrschende sozialdemokratisch eingefärbte Geschichtsschreibung zu folgen. Im Gegenteil gilt es umso mehr, in der Debatte den revolutionären Charakter und die sozialistische Stoßrichtung des November 1918 stark zu machen. Denn der Kieler Matrosenaufstand ist kein abgeschlossenes historisches Ereignis, das nun in den Museen verstauben und einmal im Jahr hervorgekramt werden kann, sondern er ist ein lokaler Meilenstein des immerwährenden globalen Kampfes um Befreiung und eine Mahnung, diesen Kampf zur Vollendung zu bringen. Trotz der großen Errungenschaften, die auch die unvollendete Novemberrevolution der herrschenden Klasse z.B. in Form von Arbeiter*innenrechten und der politischen Gleichstellung der Frau* abtrotzen konnte, die gerade heute immer wieder verteidigt werden müssen, hat sich nichts grundlegendes an der strukturellen Verfasstheit der bestehenden kapitalistischen Weltordnung geändert. Mit der Ausnahme, dass diese in den letzten 100 Jahren mittlerweile fast jeden Winkel dieses Planeten ihrer zerstörerischen Verwertungslogik unterworfen hat.
Geschichte wird gemacht – Kapitalismus zu Geschichte machen!
Die Geschichte lehrt uns: Innerhalb der Fesseln des Kapitalismus ist keine umfassende Befreiung des Menschen von Ausbeutung und Unterdrückung zu machen. Wir müssen unsere vielfältigen Alltagskämpfe verbinden, in unserer direkten Nachbarschaft und weit über bestehende Staatengrenzen hinaus. Wir müssen der Integrationskraft des Kapitalismus widerstehen, egal wie grün, offen und divers er sich mancherorts noch geben mag, und uns eigene revolutionäre Strukturen gegen Staat und Kapital schaffen. Die schärfste Waffe gegen Rechtsruck und autoritäre Formierung bleibt eine greifbare solidarische Alternative jenseits der Zumutungen der bürgerlichen Gesellschaft. Es bleibt viel zu tun: Nehmen wir uns auch heute noch die meuternden Soldaten und aufständischen Arbeiter*innen von Kiel zum Vorbild, schaffen wir revolutionäre Perspektiven!
Wir haben eine Welt zu gewinnen!